Mut zur Farbe

2022 | 3 MIN LESEZEIT

Ein Plädoyer

Farben und Formen sind meine Ausdrucksmittel. Als Designer übersetze ich Wünsche, Geschmack und Ziele meiner Auftraggeber:innen in Gestaltung. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, aber ich bin schließlich kein Künstler, sondern eben Designer. Da gehören unterschiedliche Ansichten und Kompromisse zum Prozess. Aber auch mir wird es manchmal zu bunt. Und zwar, wenn ich wieder und wieder dem deutschen Hang zum Grau begegnet.

Grau scheint hierzulande für Professionalität zu stehen, für Ernsthaftigkeit oder Seriosität. Grau in allen erdenklichen Abstufungen. Die Deutschen lieben ihr Grau dermaßen, sie mischen die gesamte Farbpalette mit Grau ab. Wenn es mal etwas „gewagter“ sein soll, dann ist man auch geneigt, es mit einem Graublau oder Graugrün zu probieren. Zugleich kennen wir alle das herzerwärmende Gefühl, wenn wir als Urlaubsrückkehrer:in wehmütig auf die bunten, kubanischen Häuser blicken. Wenn wir in das schillernde Leben Mittel- und Südamerikas eintauchen. Niemand würde die grauen Sitze der deutschen Bahn auf seinem Insta-Account posten. Ein strahlend gelber Schulbus in Down Under bringt es da schon eher hin. Farben machen glücklich. Farben bereichern das Leben. Die Natur ist auch farbenfroh und weiß eigentlich, was gut tut.

Wo hakt es also?

Wieso passt Lebensfreude zu Ferien, aber nicht in unseren Alltag? Warum ist man der Meinung, eine Farbe an der Wand oder bei Möbeln „sieht man sich vielleicht irgendwann satt“? Ich frage mich, warum ausgerechnet Grau hier die Ausnahme bildet. Hat der durchschnittliche Deutsche ein Problem, sich zu „committen“, sich festzulegen? Sind die 1970er Jahre, in denen es auch in der Hinsicht ein klares Aufbegehren gab, den Deutschen nachhaltig nicht gut bekommen? Kommt man da psychologisch weiter? Bei Kindern ist die Diagnose klar: Malt ein Kind sein Bild in Schwarz, ist das eindeutig Grund zur Sorge. „Bist du traurig?“, „Hast du Probleme?“, „Fühlst du dich bedroht?“. Ich zumindest fühle mich von der grauen Designlandschaft bedroht. 

Wahrscheinlich haben wir so viele Nuancen für Grau wie es nördlich des Polarkreises Wörter für (schnee)weiß gibt. Es ist doch eine selbsterfüllende Prophezeiung, wenn der vermeintliche Wiederverkaufswert von schwarzen oder grauen Autos höher ist, als von farbigen. Sind bald alle Autos grau? Ach warte … sind sie ja schon. Lass ich meinen Blick über die moderne deutsche Architektur streifen, merke ich schon die Depression anklopfen. Architektur ist doch für Menschen gemacht. Aber irgendwie scheint User Experience keinen besonderen Stellenwert in der deutschen Architektur und Stadtplanung zu haben. 

Kurzum: Ich glaube, ihr versteht meinen Punkt. Habt Mut zur Farbe. Umgebt euch damit. Grau ist nie eine Alternative! Alles andere als Grau sind dagegen unsere Cases, Adieu Tristesse.

Dieser Artikel stammt aus unserem BAM Magazin. Erfahre mehr darüber hier.


Max Birkenhagen

Ehem. Creative Director | ZENTRALNORDEN

Seine Liebe zum Design begleitet ihn schon solange er denken kann. Seine Liebe zur Freiheit hat ihn lange Zeit als Freelancer arbeiten lassen, und anschließend als Teil der ZENTRALNORDEN-Familie. Hier lassen sich seine Projekte anhand der meist knalligen Farben rasch erkennen. Nicht umsonst lautet einer seiner Spitznamen auch Rainbow.

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