Nein „Unsere Grundwerte, die sind nicht verhandelbar!“ Danke. – Teil 1

2023 | 12 MIN LESEZEIT

Geld verdienen und die Welt verbessern? Die einen meinen, das sei ein Luxus, den sie sich nicht leisten können. Die anderen wüssten gar nicht, wo sie da (bei sich) anfangen sollten. Einige, die machen einfach. Die probieren. Die scheitern. Die lernen. Und bewirken positive Veränderungen. Bei ihnen gehören Themen wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder soziales Engagement zum Alltagsgeschäft dazu. Ohne eine klare Haltung zum gesellschaftlichen Leben und zur Verantwortung als Unternehmen ginge es gar nicht mehr. Aber auch sie haben irgendwann einfach mal angefangen.

INTERVIEWS Nina Apelt & Denise Bliesener

Wir haben im Rahmen unseres BAM Magazins 2021 mit zwei routinierten Hasen in Sachen Nachhaltigkeit gesprochen. Und festgestellt: Damals so aktuell wie heute – auch mit Fußball und Eiscreme (Teil 2 - folgt) kann man viel Gutes bewirken – abgesehen von der Freude am Sport und dem süßen Genuss. Dass die beiden ausgerechnet aus Hamburg kommen, muss wohl Zufall sein.

»Die Unternehmen, die zu uns kommen, wissen, worauf sie sich da einlassen.«

- EIN GESPRÄCH MIT MICHAEL THOMSEN, FC ST. PAULI E.V. (Interview von 2021)

Beim Thema Profifußball denken wir nicht nur an den Sport, sondern auch an eine imposante Geldmaschinerie. Widerspricht sich das mit euren Werten und dem Idealismus eurer Fans? Wie geht ihr damit um?

Michael

Ich fang mal anders an: Wenn ich an Fußball denke, denke ich an Gemeinschaft, denke ich an Solidarität, denke ich an Fan sein und an einen sozialen Ort, an dem sich viele verschiedene Menschen treffen. Zugegeben, das hat sich in den letzten Jahren etwas gewandelt. Die wachsende Kommerzialisierung des Profifußballs und damit verbundene Entwicklungen beeinflussen den Sport. Auch den FC St. Pauli als Teil des deutschen Profifußballs. Und dort müssen wir das Spannungsfeld zwischen „Kommerzialisierung“ und „Identität wahren“, immer wieder ausbalancieren. Vor allem, weil der FC St. Pauli ja nicht aufgrund seiner sportlichen Erfolge bekannt geworden ist. 

Wir haben keine Meisterschaft gewonnen, keinen DFB-Pokal. Was wir aber haben, ist eine starke Tradition unserer Werte. Wir, als mitgliedergeführter Verein, stehen für Werte im Stadion und darüber hinaus. Und damit sind wir bekannt geworden, also eher aus dem ideellen Bereich heraus. Und aus der Verbundenheit mit unserem Stadtteil. Wir sehen aber, dass es die Teilnahme am Profifußball braucht, um uns als Verein zu erhalten. Und damit kommt auch die Entwicklung, dass wir uns als Unternehmen sehen müssen. Wir müssen das Unternehmen am Laufen halten. Und dieses, ich nenne es mal, „Punk bleiben“, das müssen wir immer wieder austarieren. Immer wieder schauen, wofür wir denn eigentlich stehen. Wie können wir im oben genannten Spannungsfeld unsere Werte leben?

Was ist also St. Pauli? Was macht euch aus?

Michael

Wir sind divers. Die einen sagen, wir sind Profifußballverein. Die anderen sagen, wir sind ein Breitensportverein, weil wir immerhin weitere 22 sporttreibende Abteilungen abseits des Fußballs im Verein haben, wie Handball, Beachvolleyball, Schach, Kegeln und viele andere mehr. Und der Dritte findet, wir sind wie eine Nichtregierungsorganisation, eine NGO, die die Welt retten will, denn so werden wir auch wahrgenommen. Und irgendwo dazwischen verorten wir uns, müssen uns immer wieder finden. Schauen, wo wir jetzt gerade stehen. Wohin wir wollen. Aber wir verlassen nie den Grundsatz, dass wir Teil der Bundesliga sein wollen.

Haben einige von euch auch Angst, politisch Stellung zu beziehen – und damit nicht Everybody‘s Darling zu sein?

Michael

Das ist ein stetiger Austarierungsprozess. Unsere klaren Positionen entwickelten sich so in den 80ern aus den Fans heraus. Da kamen Menschen aus dem Stadtteil St. Pauli ins Stadion, die Fußball erleben wollten, aber eben auch eine Haltung hatten. Die wollten sich auch für politische, gesellschaftliche Werte einsetzen und diese nicht an der Stadionkasse abgeben. Der Hauptverein war erstmal skeptisch: bunte Haare, Totenkopffahne. Was sollte das?

Unsere Fans sind dann Mitglieder geworden, um den Verein mitgestalten zu können. Denn als e.V. ist die Mitgliederversammlung das höchste Gremium. Hier geschieht der Austausch: Mitglieder stellen Anträge und bringen Themen ein, die uns im Hauptamt fordern. Und bewirken, dass wir die so gemeinsam geschaffene Wertebasis aus der Fanszene, aus dem Stadtteil heraus, immer mehr integrieren und damit auch nach außen gehen.

Habt ihr auch schon mal die Fangemeinschaft verloren, weil ihr in die falsche Richtung gegangen sein?

Michael

Ja. Damals haben wir in der ersten Liga gespielt und es gab unter anderem Vermarktungsaktionen, die von den Fans abgelehnt wurden. Die daraufhin entstandene Protestbewegung nannte sich die „Sozialromantiker“. Um ihren Protest zu verdeutlichen, haben sie die Fans aufgefordert, nicht mehr in Schwarz und Weiß ins Stadion zu kommen, sondern nur noch mit roten Sachen. Den Totenkopf nur noch auf rotem Grund. Und was geschah? Das gesamte Stadion war rot. Es gab eine breite Unterstützung. Die Fanszene wollte nicht, dass der Druck der Kommerzialisierung zu einem Identitätsverlust führt.

Und ein solches Verständnis prägt, wie wir mit Fußball umgehen. Beispiel: Es gibt bei uns keine Präsentation von Eckbällen, also keine Vermarktung wie „dieser Eckball wird präsentiert von ...“. Wir haben keine Werbedurchsagen, während unser Team spielt. Es gibt keine Werbejingles direkt vor dem Anpfiff. Denn da findet der Fansupport statt: Wir singen. Der Fußball und unser Team stehen im Mittelpunkt, unsere Fans, nicht ein:e Sponsor:in. Das sind kleine Zeichen, die du im heutigen Profifußball-Business kaum noch findest. Es wird mitunter bis zum Anpfiff „durchentertaint“. Das findet bei uns nicht statt.

Ist es nicht verlockend, wenn da jemand mit einem dicken Sack Geld um die Ecke kommt und genau so etwas will. Mit dem Geld hättet ihr ja auch die Möglichkeit Gutes zu tun. Wie läuft das ab? Immer wieder Diskussionen? Oder habt ihr festgeschriebene Regeln, um solchen Verlockungen zu widerstehen?

Michael

Ja, wir haben natürlich Grundsätze und schreiben tatsächlich immer mehr fest. Aber es gibt auch Grenzfälle, wo wir genauer hinschauen. Da ist vielleicht ein Unternehmen oder eine Branche, die nicht ganz eindeutig zu uns passt, aber: Die sich vielleicht schon auf den Weg machen und die wir in puncto Nachhaltigkeit unterstützen können. Wo wir merken: Die sind offen für Feedback und wollen von Anfang an mit der Fanszene am Tisch sitzen. Wir haben in meinem Bereich einen CSR-Check, mit dem wir alle drei Handlungsfelder der Nachhaltigkeit beleuchten: Soziales, Ökologie und Ökonomie. Wir prüfen jede:n potenzielle:n Partner:in und schauen uns an, wo es Synergien oder eben offene Fragen gibt.

»» Das Unternehmen am Laufen halten und ›Punk< bleiben, das müssen wir immer wieder austarieren.««

- Michael

Jetzt in der Corona-Krise tauchen wieder vermehrt soziale Fragestellungen auf. Ist das im Fußball auch so?

Michael

Ja, spannend! Auf einmal werden wieder Themen formuliert, die eigentlich schon weg waren. Auf einmal wird wieder über ökonomische Nachhaltigkeit wie z.B. Financial Fair Play gesprochen.

Und hier liegt die Stärke des Fußballs. Ich kenne keinen anderen Ort, wo so viele unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichsten Zusammenhängen unter einem Dach zusammenkommen. Und sich verpflichten, gemeinsam für etwas zu sein – Trotz ihrer Diversität. In diesem Zusammenhang muss man anerkennen, dass der Fußball eine wichtige gesellschaftliche Rolle spielt, eine privilegierte. Darum müssen wir, aus meiner Sicht, auch nachhaltig aktiv werden. Was wäre der Fußball ohne die Menschen? Ich kann mir das gar nicht anders vorstellen, als dass Fußball die Verpflichtung hat, auch gesellschaftlich Stellung zu beziehen. Das sehen im Profifußball aber längst nicht alle so.

Ist das auch anstrengend, immer den „Nachhaltigkeitswächter“ zu spielen?

Michael

Klar. Das ist genau so ein Spannungsfeld wie die anderen Themen. Größtmöglicher sportlicher Erfolg vs. Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeit kostet erst einmal Geld. Profifußball bringt Geld. Doch muss man das gegensätzlich denken? Könnte man nicht beweisen, dass Nachhaltigkeit auch Erlöspotenziale auftun kann, z.B. im ökologischen Bereich. Wenn wir im Lebensmittelbereich beispielsweise sagen: „Wir sind milch- bzw. laktosefrei.“ oder „Komplett vegetarisch.“. Das macht uns doch viel attraktiver für Menschen, die nur Hafermilch oder vegetarische Produkte erzeugen. Sich eindeutig zu positionieren, schließt vielleicht manche aus, öffnet aber auch viele neue Türen. Ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit in so viele Bereiche wie möglich hineinzubringen und Menschen davon zu überzeugen. Das treibt mich einfach an.

Wir als Designagentur sehen: Euer braun-weißes Logo zeigt nicht die Farben, die man mit Diversität verbindet. Euer Stadion ist dagegen sehr bunt. Wie kommt‘s?

Michael

Bei der Gründung des FC St. Pauli von 1910 als e.V. wurden die Vereinsfarben festgelegt. Das ist so. Das bleibt so. Dass unser Stadion so bunt ist, liegt an der Partizipation der Fanszene. Die Fans waren bei der Konzeption des Stadionbaus beteiligt. Deshalb haben wir auch so viele Stehplätze. Sie sind das Herz. Stehplätze sind erschwinglich, sind Teil der Fußball-Kultur. Dann war auch klar, dass Fangruppen und Initiativen weiter mitgestalten wollten. Deshalb sieht es im Millerntor so aus, wie es aussieht und darum gibt es klare gesellschaftspolitische Statements wie „Kein Fußball den Faschisten.“, „Kein Mensch ist illegal.“. Dafür stehen wir Fans, Mitglieder und Mitarbeiter:innen. Humanismus ist nicht verhandelbar. In allen Kurven haben Fangruppen gestickert, gemalt, geklebt, z.T. auch welche aus dem Ausland. Das Stadion gehört formell dem FC St. Pauli, ist aber ein Treffpunkt für Menschen. Die machen uns und den Fußball aus. Und dann sollen sie auch mitgestalten.

„Buntes“ entsteht aber auch aus unseren Partnerschaften wie mit Viva con Agua. Einmal im Jahr findet die Millerntor Gallery statt. Dabei werden u.a. die Umläufe der Haupt- und Südtribüne von Künstler:innen bemalt und das bleibt dann die Saison über.

Wir wollen eurem Ansinnen in Sachen Nachhaltigkeit auf den Zahn fühlen: Ihr habt Partnerschaften mit Levi‘s oder Under Armour. Vorhin hast du euren CSR-Check erwähnt. Sind die da durchgekommen?

Michael

Das ist ein komplexes Thema. Im Bereich des Trikots kannst du es streng genommen nur falsch machen mit den großen Anbietern. Jetzt machen wir unsere Spielerkleidung eben selbst und können ganz andere Messlatten in Sachen Nachhaltigkeit anlegen. Und auch dies geht auf einen Mitgliederantrag zurück, der uns zu mehr Nachhaltigkeit in unseren Merch-Produkten aufgefordert hat.

Oder zum Beispiel Levi‘s: Die haben ein Separee bei uns und dort einen Musikübungsraum reingebaut. Denn Jeans und Rockmusik, das passt. Und was passiert? Wenn kein Spiel ist, musizieren dort unter der Woche Kids aus dem Viertel in der Levi‘s Music School. Das ist nachhaltig und sozial. Mit Congstar z.B. verbinden uns einige gemeinsame Werte. Sie scheuen sich auch nicht, gesellschaftliche Inhalte von uns zu verbreiten und stellen ihre Bandenzeit zur Verfügung. Wir merken also, dass es auch immer Auswirkungen hat, wenn wir mit Partner:innen zusammenarbeiten. Dass wir dort auch gemeinsam Dinge bewirken können und zu Fragen anregen, die es vorher im Unternehmen vielleicht noch nicht gab. Wir betrachten das als gemeinsame Reise, auf die wir unsere Partner:innen mitnehmen wollen. Außerdem wissen die Unternehmen, die zu uns kommen, worauf sie sich da einlassen. Und das meine ich positiv.

Wow. Fußball kann weit mehr gesellschaftliche Relevanz beweisen, als nur 90 Minuten Unterhaltungspaket am Wochenende zu sein. Herzlichen Dank für das interessante Gespräch.

Dieser Artikel stammt aus unserem BAM Magazin. Erfahre mehr darüber hier.


Michael Thomsen

Ehem. Geschäftsleiter CSR & Personal | FC St. Pauli von 1910 e.V

Als studierter Sozialarbeiter und ehemaliger Manager von NGOs und auf Unternehmensseite kennt er alle Perspektiven, die es beim sozialen Engagement innerhalb eines CSR-Ansatzes zu beachten gilt. Gesellschaftlicher Wandel und Fortschritt gelingen seines Erachtens nur, wenn alle das gleiche Verständnis von Erfolg haben. Mittlerweile ist Michael Geschäftsführer im Unternehmen Hamburg Leuchtfeuer.

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