ZN Thesen auf dem Prüfstand – Teil 2

2022 | 7 MIN LESEZEIT

Über das Zusammenarbeiten

Wie wollen wir uns begegnen? Worauf legen wir beim Miteinander Wert? Jaap Denissen, Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Utrecht, kommentiert unsere Thesen aus der wissenschaftlichen Perspektive.

Wir glauben daran, dass man Hirn und Herz nicht über Prozesse, Strukturen oder Hierarchien erreicht. Wir wollen uns wirklich füreinander interessieren und jeder bzw. jedem Einzelnen Bedeutsamkeit vermitteln. Wir wollen einen Rahmen schaffen, damit jede:r im besten Sinne für das Unternehmen und im Einklang mit sich selbst handelt.

Es ist tatsächlich ein wichtiges, wenn auch ambitioniertes Ziel, im Einklang mit sich selbst zu sein. Tatsächlich ist dabei das gegenseitige Interesse eine wichtige Voraussetzung. In unserer hektischen Zeit verlieren wir oft aus den Augen, was uns antreibt und beschäftigt. Dabei stellt die Selbstbestimmungstheorie klar heraus, dass nicht nur Selbstbestimmung und Kompetenz als Basismotivation von Menschen gelten, sondern auch gegenseitige Verbundenheit. Die Forschung zeigt immer wieder, dass Herausforderungen als leichter wahrgenommen werden, wenn man sich von anderen Leuten unterstützt weiß. Humor und Teamgeist zwischen Kolleg:innen können auch schwierigerer oder zeitweilig gar langweiligerer Arbeit eine positive Bedeutung verschaffen.

Wir hinterfragen immer den Status quo. Wir wollen es uns nicht zu bequem machen. Das bedeutet, wir verlassen regelmäßig und bewusst unsere Komfortzone. So bleiben wir (gemeinsam) belastbar, flexibel, inspiriert und zukunftsorientiert.

Gerade als Wissenschaftler verstehe ich die Notwendigkeit, das eigene Wissen anzuzweifeln und sich fortwährend neu erfinden zu müssen allzu gut. Es ist in dieser sich schnell verändernden Zeit immer wichtiger, sich Umständen anpassen zu können. Flexibilität ist auch in sozialer Hinsicht wichtig: Gerade wenn man auf nicht-hierarchische Teams setzt, muss man akzeptieren, dass ständig fluktuierende Rollenverteilungen und Arbeitsteilung die Norm sind. Schließlich erfordert auch die globalisierte Welt ein hohes Maß an Flexibilität und interkulturelle Sensitivität.

Hier erlaube ich mir jedoch anzumerken: Personen unterscheiden sich grundsätzlich voneinander in der sogenannten „Offenheit für neue Erfahrungen“, also der Bereitschaft, neues Wissen aufzunehmen und sich selbst zu erneuern. Das bedeutet, dass es auch Menschen gibt, die charakterlich eher konservativ und verschlossen sind. Vielleicht sind das nicht die Mitarbeiter:innen von ZENTRALNORDEN oder dessen Kundschaft, doch die Erkenntnis bleibt wichtig, dass es Leute gibt, die gern etwas länger in ihrer Komfortzone bleiben und auch länger brauchen, sich von neuen Trends und Entwicklungen zu überzeugen. Im Sinne von Diversität und Verträglichkeit ist es wichtig auch diese Menschen wertzuschätzen und gar von ihrer Zurückhaltung zu profitieren. Bekanntlich ist nicht jeder Schnellschuss ein Gewinn.

Wir glauben an die Zusammenarbeit auf Augenhöhe und duzen jede:n und immer. Wir sprechen keinen Status und keine Rollen an, sondern Menschen. Kreative Ideen und mutige Ziele entstehen nicht durch Hierarchien. Respekt zollen wir im Miteinander und nicht durch ein „Sie“.

Es handelt sich hier um eine moderne Auffassung von Arbeitsorganisation. Persönlich bin ich sehr dafür, Hierarchien abzubauen. Auch in der Wissenschaft haben wir negative Erfahrungen mit Status gemacht (z.B. Professor:innen, die ihre Mitarbeiter:innen terrorisieren). Zum Thema Status habe ich auch selbst viel geforscht, speziell zu Narzissmus, also zur Tendenz bestimmter Menschen, sich als erhaben und privilegiert wahrzunehmen und andere Menschen abzuwerten.

Obwohl ich also grundsätzlich zustimme, ist eine Fußnote angebracht: Einige Theoretiker:innen gehen davon aus, dass ein Grundbedürfnis nach Status zum Menschen gehört (die Selbstbestimmungstheorie zählt übrigens nicht dazu!). Wenn dies so ist, dann lässt sich das Bedürfnis nicht so einfach unterdrücken und man sollte es besser produktiv und sozial verträglich kanalisieren. Gelingt es also einer Gruppe, Ansehen und Status mit prosozialen Zielen und fachlicher Kompetenz zu verknüpfen? Man sollte Status dabei niemals kodifizieren und erstarren lassen, denn es passt nicht zur Notwendigkeit, dass Menschen sich selbst und als Team immer wieder neu organisieren müssen.

Solche festen Positionen von Status ziehen auch immer wieder die falschen Personen (Narzissten!) an. Trotzdem gibt es nun mal ambitionierte und statusorientierte Personen und man sollte nicht vergessen, dass es auch (und manchmal gerade) in Organisationen mit flachen Hierarchien durchaus Machtunterschiede gibt. Gerade deshalb ist es wichtig, sich solcher Dynamiken bewusst zu sein und eine Haltung des „respektierenden“ Dus zu kultivieren.

Nach unserer Überzeugung bilden Aufrichtigkeit und Herzenswärme die Grundlage für ein friedvolles Miteinander. Unsere Erfahrung zeigt, dass Achtsamkeit und Herzlichkeit in tiefer Zufriedenheit münden – Und kreative Prozesse fördern. Das wollen wir für uns ebenso wie für unsere Auftraggeber:innen.

Das Bedürfnis nach menschlicher Nähe und Verbindung ist grundlegend und eine wichtige Quelle intrinsischer Motivation. Diese Nähe bringt aber auch Herausforderungen mit sich: Es kann (zumindest oberflächlich) ein Spannungsfeld zwischen Aufrichtigkeit und Herzenswärme geben – Nämlich dann, wenn es wichtig wäre sich gegenseitig zu konfrontieren oder herauszufordern, man es aus falscher Rücksicht auf die Gefühle des anderen jedoch nicht tut. Als Gegenmaßnahme scheint es wichtig, eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens zu entwickeln, in der man sich auch streiten darf und herausfordern kann.

Man muss aber eben wegen der notwendigen Diversität von Auffassungen und Talenten (siehe 2. These) auf sogenanntes Ingroup-Denken gleichgesinnter Personen aufpassen. Für eine kreative Firma kann es z.B. auch gut sein, einige konservativ denkende Köpfe im Team zu haben. Und verträgliche Teams brauchen ab und zu Dissens und Konflikt, um den Status quo aufzurütteln. Immer wieder gilt es, solche Unterschiede zu feiern und zu kultivieren – was ja zum Glück im Einklang mit dem Prinzip von „Aufrichtigkeit und Herzenswärme“ steht!

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Dieser Artikel stammt aus unserem BAM Magazin. Erfahre mehr darüber hier.


Prof. Dr. Jaap Denissen

University Utrecht

Psychologisches Wachstum ist einer von Jaaps Schwerpunkten. Als Professor für Entwicklungspsychologie untersucht er psychologische Veränderungen im Laufe des Lebens und hat auch schon Erfolgsrezepte für das (glückliche und erfolgreichere) Arbeitsleben beleuchtet. Sein Hauptziel ist es, dass jeder Mensch sich wie „die richtige Person am richtigen Platz“ fühlen kann.

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