Von Ankern, Truthähnen & IKEA – 6 kognitive Verzerrungen & wie sie dein Denken sowie Handeln beeinflussen können

2024 | 8 min Lesezeit

Schonmal was von kognitiven Verzerrungen oder auch Cognitive Biases gehört? Diese unbewussten Blind-Spots beeinflussen tatsächlich täglich unser Denken, Handeln, Wahrnehmen und sogar unser Erinnern. Die schnellen Schlussfolgerungen, die unser Gehirn durch diese unbewussten Denkprozesse herbeiführt, passieren ganz intuitiv.

Unser Gehirn wird ständig mit völlig unterschiedlichen und unterschiedlich komplexen Situationen konfrontiert – hier kommen die kognitiven Biases ins Spiel. Diese Denkmuster sind der Versuch unseres Gehirns, Sinn aus unserer komplexen Welt zu machen und intuitiv Entscheidungen zu treffen.

Insgesamt gibt es über 180 kognitive Verzerrungen. Doch von den meisten weißt du vermutlich gar nichts und das obwohl jede:r von uns von ihnen beeinflusst wird. Dabei ist es umso wichtiger, dass wir uns unserer kognitiven Verzerrungen bewusst werden und lernen mit ihnen umzugehen. Denn nicht nur im Agenturalltag, sondern auch bei der Gestaltung von analogen und digitalen Produkten für andere Menschen können unbewusste kognitive Biases auftreten – und genau diese Biases sollten rechtzeitig erkannt werden.

Der erste Eindruck zählt.

Bei der Entscheidungsfindung lassen wir uns oft unbewusst von dem ersten Wert oder der ersten Information beeinflussen, die uns präsentiert wird. Dieser sogenannte Anker-Effekt sorgt dafür, dass unser Urteil systematisch in die Richtung dieser initialen Information verzerrt wird, selbst wenn sie eigentlich irrelevant ist. Dahinter steckt eine kognitive Verzerrung.

Ein klassisches Beispiel: Der erste Preisvorschlag bei Verhandlungen. Dieser Anker setzt den Rahmen für die weitere Diskussion und beeinflusst, wie wir die nachfolgenden Angebote bewerten. Selbst wenn wir wissen, dass der Anker vielleicht zu hoch oder zu niedrig angesetzt ist, bleibt es so in unserem Kopf verankert.

Um dem Anker-Effekt entgegenzuwirken, hilft es, bewusst andere Perspektiven einzunehmen und sich nicht von der ersten Information leiten zu lassen. So können Entscheidungen objektiver und ausgewogener getroffen werden.

Selbstgemacht ist wertvoller.

Es ist nur allzu verständlich, dass wir Dingen, die wir selbst erschaffen oder zusammenbauen, mehr Wert zuschreiben. Hierbei handelt es sich jedoch um eine kognitive Verzerrung, die unser Denken beeinflusst, bekannt als der "IKEA-Effekt". Dieser Effekt beschreibt die Neigung, ein selbstgebautes Möbelstück oder ein DIY-Projekt höher zu bewerten, nur weil man selbst daran gearbeitet hat.

Doch wer hätte es gedacht, auch diese Verzerrung kann unsere Wahrnehmung beeinflussen, indem sie uns glauben lässt, dass das Ergebnis besser oder wertvoller ist, als es objektiv betrachtet vielleicht wirklich ist. Das liegt daran, dass der Aufwand und die Mühe, die wir investiert haben, unsere emotionale Bindung zum Objekt verstärken.

Um Entscheidungen im Alltag klarer zu treffen, kann es helfen, sich dieser Verzerrung bewusst zu werden und zu überlegen, ob der tatsächliche Wert eines Produkts wirklich durch die eigene Arbeit gesteigert wurde oder ob hier der IKEA-Effekt am Werk ist.

Das hat jetzt irgendwie länger gedauert als gedacht ...

Der kognitive Bias der "Planning Fallacy" beschreibt die Tendenz Aufwände in der Planung von großen Aufgaben falsch einzuschätzen, insbesondere sie zu unterschätzen. Da die Projektplanung im Agenturgeschäft zum Alltag gehört, ist hier Fingerspitzengefühl gefragt, um Ressourcen und Personen bewusst bei Projekten einzusetzen.

Eine wichtige Hilfestellung bei der Einschätzung von Aufgaben können direkte Gespräche mit Expert:innen aus dem Team bieten. Unsere Freund:innen bei Bleech haben mit ihrem Online Planning Poker eine weitere Methode geschaffen, wie man gemeinsam im Team Aufwände einschätzen und bewerten kann.

Von Truthähnen und Trends.

Trends kommen und gehen, davon ist auch Gestaltung nicht ausgenommen. Von Fonts, über Layouts im Editorial Design bis hin zum Interface Design, finden sich auch dort immer wieder neue Trends. Die Truthahn-Illusion beschreibt die falsche Annahme, dass sich ein Trend immer weiter fortsetzt. Der "Truthahn" im Titel der kognitiven Verzerrung ist geprägt durch die Metapher, dass "der Truthahn täglich gefüttert wird, bis auf einmal Thanksgiving vor der Tür steht" und bedeuten würde, dass der Truthahn an dem amerikanischen Feiertag traditionell im Ofen landet. Der Trend endet plötzlich oder wird von einem neuen ersetzt und der metaphorische Truthahn wird wieder von Vorne gefüttert.

Aber warum werden Produkte, egal ob analog oder digital überhaupt an Trends angelehnt gestaltet, wenn sie doch so schnell wieder out sein können?! Das hat natürlich vor allem den Grund, dass Marken zeitgemäß repräsentiert werden wollen und sich dafür an aktuellen Trends zu orientieren erscheint erstmal logisch.

Doch warum entscheidet man sich bei einem Projekt überhaupt dafür sich auch mal bewusst richtig einem Trend hinzugeben? Das hat meistens etwas mit der Marke, der Marken-Zielgruppe und natürlich auch dem Gestaltungsmedium zu tun. Je nachdem an wen sich die Marke richten soll, wie sie wahrgenommen werden soll und wie nachhaltig das zu gestaltende Produkt verwendet werden soll. Bei einer einjährigen Plakat- und Social Media Kampagne können sich beispielsweise Trends anbieten, da der Zeitraum und die Verweildauer kürzer sind. Doch bei einer App-Gestaltung wäre wiederum ein nachhaltiger Gestaltungsansatz gefragt. Denn im zweiten Beispiel würde man von einer regelmäßigen und langfristigen Produktnutzung ausgehen, dessen komplette Design-Änderung basierend auf einem Trend mit hohen Kosten verbunden wäre.

Und zu guter Letzt kommt es natürlich auch auf den Trend und die Gestaltungsrichtung an. Schließlich gibt es auch Richtungen, wie die "Schweizer Typografie" oder die "Bauhaus-esque Gestaltung", die alles andere als neu sind, aber eine immergrüne Wirkung haben und sich dadurch besonders für ein nachhaltig modern wirkendes Design eignen.

Kill your Darlings!

Dieser Satz ist mittlerweile besonders im Design Thinking verbreitet und bedeutet so viel wie sich nicht einfach auf die erstbeste bzw. die "Lieblings-Idee" zu stürzen, nur weil sie die erste Idee war oder man aus subjektiven Gründen an einer Idee besonders festhält. Ein ähnliches Muster findet sich in der kognitiven Verzerrung "Beharren auf Überzeugen" wieder. Diese Verzerrung unterstützt ein Festhalten an Ideen sowie Hypothesen und das obwohl in der Zwischenzeit neue Informationen vorliegen, die der Annahme widersprechen.

In einem Projektablauf eines Designprojekts werden oftmals zum Projektbeginn und in der Konzeptionsphase Annahmen zu Zielgruppen und deren Verhaltensweisen getroffen. Genau diese gilt es dann im Laufe eines Projekts zu validieren. Beispielsweise anhand von qualitativen Interviews, quantitativen Umfragen, Fokusgruppen und im späteren Projektverlauf natürlich auch User Testings. Sollte sich eine Annahme als falsch herausstellen, bedeutet das Anpassungen in der nächsten Iteration. Denn das Beharren auf Überzeugungen kann im Zweifelsfall zum Flop eines Produkts oder einer Kampagne führen.

Völlig unbeeinflusst von allem?

Selbst nach dem Kennenlernen all dieser kognitiven Verzerrungen, gehörst du nicht dazu? Tatsächlich gibt es noch einen weiteren kognitiven Bias, die “Verzerrungsblindheit”, sie beschreibt die Tendenz sich für nicht bis kaum beeinflusst durch kognitive Verzerrungen zu halten – eine gefährliche Annahme.

Du willst mehr von unseren coolen Projekten sehen? Hier geht's lang:

Portfolio
Schlagwörter: Biases, kognitive Verzerrungen, Cognitive Bias, Denken

Marina Rost

UX Design | ZENTRALNORDEN

Als Strategische Gestalterin mit IoT-Background widmet sich Marina allen UX & UI Themen bei Zentralnorden, immer mit der richtigen Methode als Ass im Ärmel. Marina hat strategisch in vielen Bereichen ihre Finger im Spiel und das metaphorische Skalpell immer griffbereit. Je komplexer das Thema, desto besser.

Felix Kühl

Ehem. Art Direction | ZENTRALNORDEN

Felix Kühl ist eigentlich Art Direktor, aber seine kreative Ader zieht ihn ab und an zum Schreiben. Auch wenn er nicht so viel schreibt, bringt er seine Gedanken in den seltenen Momenten, in denen er zum Stift greift, präzise auf den Punkt. Felix liebt es, kreative Konzepte zu entwickeln und sich gestalterisch auszuleben. Neben seiner Arbeit als Art Direktor setzt er auf den gezielten Einsatz von Sprache, um Austausch und neue Perspektiven zu fördern.