Gemeinsamkeiten fangen an, wo Unterschiede aufhören

2022 | 19 min Lesezeit

Zu Gast bei ZENTRALNORDEN

Es gab Zeiten, in denen vegane NGOs mit harten Bandagen gegen Großkonzerne kämpften. Denise von ZENTRALNORDEN hat erkannt, wie sie voneinander profitieren können – Und Doreen, Aufsichtsrätin von Domino’s Pizza, mit Veganuary-Chefin Ria an einen Tisch gesetzt.

INTERVIEW Maja Hoock, FOTOS Patrick Nietzsche

Gegensätze ziehen sich an, sagt man. Für Politik und Wirtschaft verhält es sich in der Regel eher anders. Da gehört man schnell zu den Guten oder den Bösen. Labels werden heutzutage leicht vergeben. Wir als Kreativagentur sind täglich in und mit diesen Spannungsfeldern unterwegs. Je nach Auftraggeber:in, Projekt und Zielgruppe agieren wir zwar innerhalb bestehender Strukturen, bieten durch die Vielfalt unserer Einsätze und Einblicke aber viele neue Perspektiven. Außerhalb von Hierarchien und ohne Scheuklappen entdecken wir überraschende Möglichkeiten und Zusammenhänge. Wir animieren unsere Auftraggeber:innen dazu, über den eigenen Tellerrand zu schauen, verstehen uns als Freigeister und Beschleuniger/Katalysatoren. Dafür werden wir angeheuert. Wenn wir so viel Zuneigung wie zu unseren folgenden beiden Gästen verspüren, dann machen wir es auch gern mal ungefragt. Einfach nur, weil wir darin Positives sehen und es lieben, gute Menschen zusammenzubringen.

Unsere beiden Gesprächspartnerinnen kommen aus Berlin, mögen Yoga, sind erfolgreiche Frauen und dennoch unterschiedlich wie Tag und Nacht: Doreen Huber und Ria Rehberg. Doreen, Investorin und Denises Sandkastenfreundin, hat kürzlich ihr erfolgreiches Catering-Start-up Lemoncat verkauft und ist jüngste Frau im Aufsichtsrat von Domino‘s Pizza, einem massiven Fleischverbraucher. Ria kämpft aus tiefer Überzeugung für eine bessere Welt. Sie ist CEO der spendenfinanzierten NGO Veganuary, die Fleischesser:innen von einem veganen Januar überzeugen möchte.

Warum die beiden trotz anfänglicher Vorurteile gut zusammenpassen, hat Denise ihnen nahegebracht. Sie hat die ungleichen Leaderinnen gemeinsam an einen Tisch gesetzt. Hat die Veganerin mit dem Vorstandsmitglied eines Fastfood-Imperiums zusammengebracht. Kann das gut gehen? Eindeutig ja. Herausgekommen ist eine Kooperation, von der beide Seiten profitieren.

Zu Gast bei ZENTRALNORDEN halten „die Superinvestorin“, die „Öko-Aktivistin“ und „die Kreative“ einen liebevollen Schlagabtausch um effektiven Altruismus, Führungsrollen und den vermeintlichen Widerspruch zwischen Geldverdienen und Gutes-tun aus. Dabei gelangen sie zu der Überzeugung: Es ist nicht alles schwarz oder weiß. Miteinander kommen wir weiter, als gegeneinander. Und Spaß macht es auch noch.

Denise, warum hast du ausgerechnet deine ungleichen Freundinnen Ria von Veganuary und Doreen von Domino’s zusammengebracht?

Denise

Für uns als Kreativagentur ist die Schnittmenge spannend, wenn Unternehmen weder die eine noch die andere Seite scheuen. Sich mit diesen Spannungsfeldern auseinandersetzen, eine Haltung finden und Positives bewirken: Wo bekomme ich den meisten Impact für meine gute Sache? In meinen Augen bringt es nämlich mehr, zu kooperieren, als Firmen zu boykottieren. Unternehmen, die noch nicht sehr nachhaltig denken, haben doch das größte Potenzial, durch ein Umdenken relevanten positiven Wandel herbeizuführen.

Doreen, hattest du Vorurteile gegenüber der „Öko-Aktivistin“ Ria?

Doreen

Ja, als Unternehmerin habe ich mich schon ein Stück weit angegriffen gefühlt. Ria hat das nicht gemacht. Aber als jemand, der keine Aktivistin ist, fühlt man sich schon erst einmal in der Defensive, wenn man ein Massenprodukt verkauft.

Domino‘s verbinden viele mit Doppel-Salamipizza und viel Käse. Durch den Kontakt über Denise gibt es eine Kooperation mit Veganuary. Wie konntest du das auf die Agenda bringen, Doreen?

Doreen

In unseren regelmäßigen Aufsichtsratsitzungen geht es natürlich auch um Food Trends und wie wir uns den Marktanforderungen anpassen können. Ich kannte Ria durch Denise und habe Veganuary vorgeschlagen, um das Thema mehr in den Fokus zu rücken. Domino’s war sehr offen, weil sie auch etwas davon haben – zum Beispiel positive Presse.

Ria

Du hattest ja auch schon Veganuary-Erfahrungen mit deiner ehemaligen Firma gesammelt.

Doreen

Stimmt, das war mit Lemoncat, meinem Catering-Start-up. Der vegane Januar mit Mittagessen und Snacks ohne Tierprodukte hat damals richtig was gemacht mit den Leuten in der Firma. Auch die Kritiker:innen, die sich vorher vielleicht ein bisschen über „die Ökos“ amüsiert haben, haben es ausprobiert. Ich bin übrigens danach mit meiner ganzen Familie bei Hafermilch statt Kuhmilch geblieben – was ich vorher nie gedacht hätte. Mit Domino‘s haben wir jetzt eine viel größere Reichweite mit dem Projekt.

»Sich mit Spannungsfeldern auseinandersetzen, eine Haltung finden und Positives bewirken.«
- Denise

Denise

Ich habe schon so viel mit Doreen diskutiert, über vegane Ernährung. Ich finde das einen großen Erfolg, dass sie sowas mal in ihrer eigenen Firma umsetzt. Und das dann auch noch privat weiterlebt. Hätte ich nie geglaubt.

Doreen

Ich muss fairerweise zugeben, dass ich das als Unternehmerin als Marketing-Kampagne gesehen habe. Aber das eine muss das andere ja nicht ausschließen.

Drei Frauen, drei Wege und ein paar Gemeinsamkeiten

Ihr kennt euch zum Teil seit der Kita. Was wolltet ihr damals werden?

Doreen

Ich wollte Modedesignerin oder Journalistin werden. Aber meine Mutter erzählt immer, dass ich als Kind Millionärin werden und ihr eine Insel kaufen wollte. (lacht)

Ria

Ich Tierärztin.

Denise

Ich auch! Oder Ballett-Tänzerin. (alle lachen)

Was erzählt ihr euren Eltern, worauf ihr beruflich stolz seid?

Ria

Ich würde ihnen erzählen, wie viel Tierleid wir mit Veganuary in der Massentierhaltung schon vermeiden konnten. Ein Wissenschaftler aus Oxford hat errechnet, dass 350 000 Menschen, die einen Monat vegan leben, so viel CO2 einsparen, wie bei 450 000 Flügen von Berlin nach London ausgestoßen wird. Außerdem 2,5 Mio. Liter Wasser und 1,2 Mio. Tiere, die nicht in Massentierhaltung geboren und gestorben sind.

Doreen

In meiner Branche wird Erfolg an Geld, Investoren oder der Anzahl der Mitarbeiter:innen gemessen. Darum würde ich meinen Eltern davon erzählen. Ich kann zwar nicht sagen, dass ich mit meinem Unternehmen Menschenleben rette, aber ich schaffe Arbeitsplätze und engagiere mich, die Frauenquote in Managementpositionen zu erhöhen. Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Mein Vater ist Elektriker, meine Mutter Büroangestellte und ich war die erste, die in meiner Familie studiert hat. Aber meine Eltern waren immer sehr fleißig und das habe ich auf jeden Fall von ihnen übernommen. Ich hatte immer den Drang, genug Geld zu machen.

Ria

Das ist ein anderes Mindset. Ich hätte mich überhaupt nicht motivieren können einen Job zu machen, um mehr Geld zu haben. Ich habe nur über den Altruismus Ehrgeiz entwickelt.

Denise

Bei mir steht Geld auch nicht an erster Stelle. Spaß zu haben ist so wichtig im Job! Das fehlt sehr ambitionierten Menschen manchmal. Aus meiner Perspektive haben weder die meisten großen Konzerne noch NGOs perfekte Strukturen und ich war der Meinung, dass es etwas dazwischen geben muss. Darum setze ich mich zum Beispiel für die kollegiale Führung bei uns ein. Ich bin absolut motiviert, gewinnbringend zu agieren. Wirklich stolz macht es mich aber, wenn ich sehe, dass es den Menschen bei uns gut geht. Und das, obwohl wir als Agentur immer schneller, weiter und kreativer als unsere Auftraggeber:innen performen müssen.

Was kann man sich unter kollegialer Führung vorstellen?

Denise

Man verteilt Verantwortung. Und wichtig: Kompetenz führt, kein Titel oder Status. Es gibt zwar Hierarchien, Visionen und Strategien, aber vom Team gewählten Personen obliegen bestimmte Geschäftsführer:innentätigkeiten. Dadurch verstehen sie das Unternehmertum besser und sind intrinsisch, also aus eigenem Antrieb, motiviert. Da steckt dann viel mehr Energie hinter. Ich war gerade im Urlaub und das Team hat nur gute Entscheidungen getroffen.

Hast du auch Erfahrungen mit kollegialer Führung gemacht, Doreen?

Doreen

Ja, denn ein guter Leader sieht zu, dass er die fähigsten Leute nah an sich heranholt. Man hat nur dann einen guten Job gemacht, wenn die Firma weiterläuft, falls man morgen vom Bus überfahren wird.

Worin unterscheidet ihr euch beruflich am meisten?

Doreen

Ich musste viele harte Entscheidungen treffen. Denise ist offener und schneller, wenn es darum geht, Leute aus dem Berufs- ins Privatleben zu lassen. Und ich könnte mir nicht vorstellen, wie Ria für sehr wenig Geld sehr viel zu arbeiten.

Ria

Wir waren waschechte Aktivist:innen und wollten nur so viel verdienen, wie wir zum Überleben brauchen. Nach sieben Jahren habe ich gemerkt, dass das weder für den Rest des Teams noch für mich positiv war. Mittlerweile haben wir das Gehalt etwas angepasst.

Denise

Vor Ria habe ich großen Respekt, wie lange sie aus Überzeugung für wenig Gehalt gearbeitet hat. Das könnte ich auch nicht. Ein Unterschied zu Doreen ist, dass wir Freiheiten lassen, die es bei ihr wohl nicht gibt: In großen Firmen muss man sich, wenn ein Kind krank ist, einen Krankenschein besorgen. Ich kann aber auch mal tolerieren, wenn es ein:e Mitarbeiter:in nicht sofort zum Arzt schafft. Wir sehen Profitabilität nicht in jeder Hinsicht als oberstes Ziel, sondern nehmen uns solche Freiheiten. Und es funktioniert trotzdem. Darüber haben wir schon viel diskutiert.

Hätten Entscheidungen wie die von Denise einen Platz bei dir? Dass Mitarbeiter:innen sich zum Beispiel nicht krankschreiben lassen müssen?

Doreen

Viele Start-ups kümmern sich um die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeiter:innen, geben extra Urlaubstage und zahlen Yoga und Obst. Das hat aber nichts mit Idealismus zu tun: Im War for Talent muss man attraktiv für gute Leute sein. Bei sehr großen Unternehmen braucht man allerdings Richtlinien. Sonst herrscht Chaos.

Wie sieht die Mitarbeiter:innenführung in einer NGO wie Veganuary aus?

Ria

Unser Impact soll so groß wie möglich sein. Deswegen ist der einzige Unterschied, dass die Mitarbeiter:innen grundsätzlich alle intrinsisch motiviert sind. Ich muss ihnen also keine Kühlschränke voller Cola hinstellen, sondern eher durchsetzen, dass sie ihren Urlaub wirklich nehmen und nicht zu viele Überstunden machen.

Denise

(lacht herzlich)

Ria

Aber auch idealistische Menschen sind vor Burn-outs nicht gefeit. Bevor ich in die Firma gekommen bin, kamen aus diesem Grund fast jedes Jahr neue Mitarbeiter:innen – Jetzt achten wir mehr auf die Work-Life-Balance.

Einmal die Rollen tauschen

Schlüpft mal in die Rolle von Karriereberaterinnen. Was würdet ihr gegenseitig ändern?

Ria

Ich sage Denise ständig, dass wir mehr auf uns selbst achten müssen, damit wir nicht ausbrennen. (alle stimmen laut zu)

Denise

Ich würde Doreen gerne einmal durch so eine Mangel weichkneten.

Doreen

(lacht) Dann würde ich in meiner Welt gar nicht mehr überleben! Es ist lustig: Wir sehen uns noch, wie wir zu Abi-Zeiten waren, weil das Gehirn eine jüngere Version von sich und seiner Umgebung abspeichert. Aber wir haben uns alle unserem Umfeld angepasst. Wenn die eine jetzt versuchen würde, in der Welt der anderen aufzutreten, würde das nicht funktionieren. (alle nicken)

Wenn ihr trotzdem einen Tag lang die Rollen tauschen müsstet: Was würdet ihr machen?

Ria

Ich würde bei Domino‘s alle Fleischprodukte rausschmeißen und nur noch vegane Pizzen anbieten!

Doreen

Ich würde in der Geschäftsführung von Veganuary an alle großen Firmen rangehen und sie davon überzeugen, mitzumachen. Und mein Netzwerk dazu nutzen, Investoren heranzuholen und meine Metriken ansetzen. Rias Mitarbeiter:innen wären wahrscheinlich schnell genervt von mir. (lacht)

Denise

Und wenn ihr dann verzweifelt, kommt ihr erstmal schön bei mir vorbei und wir rücken das wieder gerade. Außerdem würde ich mich über die freien Talente freuen, nachdem sie bei euch abgesprungen sind.

Genug über Unterschiede. Was sind eure beruflichen Gemeinsamkeiten?

Doreen

Wir krempeln alle die Ärmel hoch und packen mit an – Keine von uns sitzt auf einem Thron und gibt nur Anweisungen. Wenn ich Denise sehe, wie sie einen Workshop hält, ist sie leidenschaftlich und überzeugend. Wenn ich Vorträge von Ria sehe, schafft sie es, andere wirklich zu motivieren. Das ist vielleicht der Frauenführungsstil?

Spielt es eine Rolle, dass ihr Frauen seid?

Denise

Ich glaube, dass wir näher am Team sind, als viele „klassische“ Männer in Führungspositionen. Ich muss keinen auf dicke Hose machen, sondern freue mich auch, wenn andere in den Vordergrund treten. Mir ist wichtig, dass die Dinge voran gehen. Gute Ideen sind das, was zählt und nicht, dass sie von mir kommen. Ich verstehe Zusammenarbeit als einen Schulterschluss, als gemeinsame Mission in einem vertrauensvollen Netzwerk. Das sollte kein Showdown für konkurrierendes Gerangel sein.

Doreen

Ich war immer eine „laute“ Person und muss mich in Männerrunden nicht extra bemerkbar machen. So sind aber nicht alle Frauen und dann wird man nicht ausreichend gehört oder verkauft sich unter Wert. Ich habe darum immer geschaut, viele Frauen einzustellen und bin große Freundin der Frauenquote.

Ria

Auch in der Tierschützer:innen-Szene ist es noch so, dass 80 Prozent der Geschäftsführer:innen männlich sind. Ich habe fast nur weibliche Führungskräfte angestellt. Allerdings nicht weil ich mir das so vorgenommen habe, sondern weil sie einfach die besten Kandidatinnen waren.

Hat die Begegnung mit Ria etwas in dir verändert, Doreen?

Doreen

Ja! Ich überlege gerade, was ich als nächstes machen könnte. Und ob es etwas sein sollte, das mich genauso persönlich erfüllt wie Ria und Denise. (beide strahlen)

Vielen Dank!

Dieser Artikel stammt aus unserem BAM Magazin. Erfahre mehr darüber hier.

BAM Magazin
Schlagwörter: Designagentur, Führung, Gemeinsamkeiten, Großkonzern, NGO, Unterschiede, Vegan

Ria Rehberg

CEO | Veganuary

Ria war Co-Geschäftsführerin der Tierschutzorganisation Animal Equality Germany. Sie geht auch ungewöhnliche Wege und leitete den deutschen Arm der Kampagne „Million Dollar Vegan“, die Papst Franziskus 1 Mio. US-Dollar anbot, wenn er zur Fastenzeit eine vegane Ernährung ausprobiert.

Doreen Huber

Aufsichtsrätin | Domino's Pizza

Doreen blickt bereits auf eine erfolgreiche Geschichte als Entrepreneurin und Business Angel zurück, die als Investorin junge Start-ups unterstützt. Sie ist Expertin in Sachen Food Tech, war COO bei Delivery Hero, gründete und verkaufte erfolgreich Lemoncat und ist nun bei Domino's Pizza. Geschenkt wurde ihr auf dem Weg nichts. Und auch sie hat erkannt, dass man zwischendurch mal Kräfte auftanken muss. Wenn sie nicht unterwegs ist, lebt sie derzeit auf Mallorca.

Denise Bliesener

Ehem. CEO | ZENTRALNORDEN

Sportjunkie, Rettungsassistentin, Biologin, Kommunikatorin. Denise, das steht auch für sprudelnde Energie. In einem Wort? Tausendsassa. Nach langjähriger Erfahrung auf Unternehmensseite und Agenturseite fällt es ihr leicht zu vermitteln. Als Impulsgeberin treibt sie Projekte mit strategischem Gespür für Kommunikation und Design voran.